«Wenn sich jede und jeder nur noch bedient, haben wir ein Problem»

Der Politiker Boris Tschirky ist neues Mitglied des Stiftungsrats von Pro Senectute Kanton St. Gallen – als Nachfolger von Beat Tinner, der in die Regierung gewählt wurde. Mit ihm hat auch wieder der Präsident der Vereinigung der St. Galler Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten im Stiftungsrat Einsitz. Mit Pro Senectute verbindet Boris Tschirky eine schon lange Geschichte.

INTERVIEW MICHAEL WALTHER, REDAKTOR NEWSLETTER
PRO SENECTUTE KANTON ST. GALLEN


Wieso engagieren Sie sich als Politiker, Gemeindepräsident sowie Präsident der VSGP – der Vereinigung der St. Galler Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten – im Pro-Senectute-Stiftungsrat?

Der in die Regierung gewählte Beat Tinner war mein Vorgänger – im Stiftungsrat und als Präsident der Vereinigung der St. Galler Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten. Die Alterspolitik ist eine wichtige Aufgabe, mit der sich die Gemeinden auseinanderzusetzen haben. Weil sich hier Pro Senectute stark engagiert, sollte der Austausch entsprechend gepflegt und sogar noch intensiviert werden.

Pro Senectute fragte uns, ob die VSGP wieder einen Vertreter entsenden würde, und unserer Organisation liegt daran, im Stiftungsrat vertreten zu sein. Es gibt aber auch persönliche Bezüge zum Thema Alter.

Worin bestehen diese Verbindungen?

Meine Eltern stehen in den Achtzigern. Dadurch stellen sich Fragen, wie sie sich engagieren können oder wo sie welche Tipps und Hinweise erhalten. Bei diesen Themen spielt Pro Senectute schon seit Jahrzehnten eine gute Rolle.

Sie kennen Pro Senectute schon lange?

Sehr lange sogar. Ich war 1992 bis 2007 Kirchenpräsident in Kriessern und stand in Kontakt mit allen Organisationen, die im Gesellschaftsbereich zusammenarbeiteten – auch mit Pro Senectute. Also kenne ich deren Angebote.
Ich erlebte Pro Senectute immer als sehr engagiert und dienstleistungsorientiert. Es geht stets klar darum, was der älteren Bevölkerung nützt.


Im dörflichen Zusammenhang ist es wichtig, dass verschiedene Angebote diverser Institutionen aufeinander abgestimmt werden. Es macht keinen Sinn, wenn jeder dieser Vereine beispielsweise Turnen im Alter anbietet. Angebote, die nicht nachgefragt werden, kann man sich auch heute nicht mehr leisten.

Seit 2013 sind Sie Gemeindepräsident von Gaiserwald.

Und seitdem arbeite ich sehr gut mit der Pro Senectute Gossau und St. Gallen Land zusammen. Im September 2020 haben wir uns erneut zur Leistungsübersicht, zur finanziellen Abgeltung sowie zur Planung 2021 ausgetauscht.

Dabei erlebe ich die Organisation als sehr engagiert und dienstleistungsorientiert. Es geht ihr stets darum, Angebote zu entwickeln, die der älteren Bevölkerung nützlich sind. Mein Eindruck ist sehr positiv.

Auch die Gemeinden erfüllen eine wichtige Rolle in der Altersarbeit.

Ihre Funktion ist für alle Generationen sehr wichtig; die politischen Gemeinden begleiten die Mitbürgerinnen und Mitbürger sozusagen von der Wiege bis zur Bahre. Sie müssen aber nicht alles selber neu erfinden, sondern Organisationen und Funktionsträger berücksichtigen, die bereits über sehr gute Angebote und ein grosses Fachwissen verfügen.

Deshalb gilt es, Parallelstrukturen zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund klären die Gemeinden jeweils ab, wer das beste Angebot macht und am effektivsten arbeitet.

Wie sieht nun die Zusammenarbeit mit Pro Senectute in Gaiserwald konkret aus?

Zum einen schlossen wir die Leistungsvereinbarungen mit der Pro Senectute Regionalstelle für die Bereiche Information und Beratung sowie Hilfe und Betreuung ab.
Die politischen Gemeinden müssen nicht alles selber machen, sondern prüfen, wer das beste Angebot macht. Da kommt bei der Altersarbeit Pro Senectute zum Zug.

Zum anderen formulieren wir für Gaiserwald gegenwärtig neue Legislaturziele. Dabei bildeten wir – in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule – sogenannte Resonanzgruppen. Darin wirkten alle Parteien, Vereine und weitere Institutionen mit, darunter Pro Senectute. – und dies mit dem Ziel herauszufinden, welche Angebote nötig und zielführend sind, wer welche Rolle hat und wer über welches Angebot bereits verfügt.

Welche Rolle spielt Pro Senectute in Ihrer Gemeinde?

Die Aufgabe von Pro Senectute liegt unbestritten in den Bereichen Kurse, Freizeitangebote, Sozialberatung, Haushilfe und Administrativer Dienst. Allenfalls könnten in Zukunft noch Bereiche in der Sensibilisierung und Ausbildung in Sachen Nachbarschaftshilfe abgedeckt werden. Klar ist, dass Pro Senectute in unserer Gemeinde bei der Altersarbeit eine wichtige Rolle spielt.

Wieso war Ihnen Mitwirkung beim Formulieren der Legislaturziele wichtig?

Heutzutage wird in der Regel sehr rasch kommuniziert. Aber die Kontakte bleiben oft oberflächlich. In den Mitwirkungsgruppen konnten wir uns mit mehr Tiefe austauschen. Das ist wichtig, weil Vereine und Organisationen eine enorm bedeutende Rolle für die Gemeinschaft spielen.

Durch die Mitwirkung aller Organisationen bei den Legislaturzielen wollten wir Gemeinschaft und Mitverantwortung stärken. Im Unterschied dazu: Wenn sich jeder und jede nur noch mit dem bedient, was ihn oder sie interessiert, haben wir ein gesellschaftliches Problem.

Gaiserwald erhielt erst sehr spät ein Alters- und Pflegeheim.

Das ist so. Die Bewohnerinnen und Bewohner von Gaiserwald mussten lange Zeit eine Institution ausserhalb der Gemeinde aufsuchen. Im Jahr 2011 fand eine Urnenabstimmung für zwei Alters- und Pflegeheime statt, die dann in Engelburg im Oktober 2018 und in Abtwil im Juni 2020 eröffnet wurden.

Nahm die Zusammenarbeit mit Pro Senectute während der Corona-Pandemie eher zu?

Das Kursangebot ging epidemiebedingt sicher zurück. Aber das Grundangebot – die Haushilfe, der Administrative Dienst und die Sozialberatung – liefen ungebrochen weiter.

Die Pandemie hatte insofern etwas Positives, als man inzwischen wieder etwas achtsamer mit der Nachbarschaft umgeht – und die Bedeutung der Nachbarschaftshilfe ist eher wieder ansteigend.

Was schwebt Ihnen nun als neuer Stiftungsrat von Pro Senectute Kanton
St. Gallen vor?


Wir schlagen in diesem Gremium viele Brücken. Jedes Mitglied bringt Fachwissen mit und trägt dazu bei, dass die Gesamtorganisation gestärkt in die Zukunft geht. Wir können Impulse geben und Pro Senectute mit unseren Erfahrungen weiterentwickeln und weiter vernetzen. Dies ist auch mein Ziel.

Boris Tschirky – langjähriger, gewiefter Politiker



Boris Tschirky studierte Geschichte, Staatsrecht und Volkswirtschaft an der Universität Zürich und hat einen MBA (Master of Business Administration) der Uni St.Gallen. Er war ab 1994 stellvertretender Chefredaktor der «Rheintalischen Volkszeitung» und arbeitete hernach in der Standortförderung, unter anderem 2000 bis 2003 im Amt für Wirtschaft des Kantons St. Gallen. Von 2004 bis 2012 war er bei St. Gallen-Bodensee Tourismus tätig – davon die letzten fünf Jahre als Direktor. Er war 1992 bis 2007 Präsident des Kirchenverwaltungsrats Kriessern. Der CVP-Politiker ist seit 2013 Gemeindepräsident von Gaiserwald. Seit 2016 ist er auch Mitglied des Kantonsrats – und ebenso seit 2016 Präsident der Vereinigung der St. Gallen Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten (VSGP.) Er wurde im Sommer 2020 Mitglied des Stiftungsrats von Pro Senectute Kanton St. Gallen, nachdem sein Vorgänger, Beat Tinner, in die Kantonsregierung gewählt wurde. mw./Bild: zVg.

Welche Aufgabe hat der Stiftungsrat?

Der Stiftungsrat ist das oberste strategische Organ von Pro Senectute Kanton
St. Gallen
und besteht aus 14 Mitgliedern. Er setzt die Geschäftsleitung ein und berät und beaufsichtigt die anderen Stiftungsorgane. Der Stiftungsrat hat eine prüfende und strategische Funktion und Verantwortung: Ist Pro Senectute auf Kurs? Wo soll sich die Organisation in Zukunft hinentwickeln? Stimmen die grossen Linien noch. Oder braucht es eine Korrektur? Bei einer Organisation wie Pro Senectute entwickelt auch die Geschäftsleitung wichtige Projekte, die dann mit dem Stiftungsrat abgestimmt werden. Letztlich kommt dem Stiftungsrat von Pro Senectute die Gesamtverantwortung, auch finanzieller Art, zu.

Dies sind die Stiftungsratsmitglieder

Lic. oec. Renato Resegatti ist seit 2019 Präsident des Stiftungsrats. Davor war er Mitglied und Präsident des Regionalkomitees von Pro Senectute Stadt St. Gallen. Resegatti war Generalsekretär des Finanzdepartements und bis zu seiner Pensionierung 2017 Direktor der Gebäudeversicherung des Kantons St. Gallen.

Lic. oec. Markus Rüdisüli ist Vizepräsident des Stiftungsrates. Er war Leiter des Personalwesens und Mitglied der Geschäftsleitung der Firma Leica Heerbrugg. Später leitete er ein Altersheim, präsidierte den Heimverband Curaviva St. Gallen und wirkte als Berater bei Reorganisationsprozessen in öffentlichen Heimen.

Prof. Dr. Walter Ackermann leitete das Institut für Versicherungswirtschaft an der Uni St. Gallen und war Titularprofessor für Betriebswirtschaftslehre ebendort. Er verfasste zahlreiche Publikationen und leitete Forschungsprojekte zu Fragen des Sozialstaats.

Erwin Camenisch ist Präsident der Pro Senectute Regionalstelle Zürichsee-Linth. Er war als Elektroingenieur in leitender Stellung bei Swisscom tätig, wirkte danach zwölf Jahre als Gemeindepräsident von Uznach und vertrat die Region Zürichsee-Linth im Kantonsparlament.

Prof. Dr. med. Christoph Huerny war Chefarzt der Geriatrischen Klinik St. Gallen, die er zu einem schweizweit führenden Zentrum für Altersmedizin entwickelte. Heute engagiert er sich in der Hospizbewegung.

Dr. med. Daniel Inglin war langjähriger Leitender Arzt in der Geriatrischen Klinik
St. Gallen und ist heute Präsident der Pro Senectute Regionalstelle Stadt
St. Gallen. Er engagiert sich in der Alzheimervereinigung. Seit vielen Jahren ist er Junioren-Fussballtrainer.

Corinne Klarer-Marty ist Präsidentin der Pro Senectute Regionalorganisation Gossau-St.Gallen Land. Die Geschäfts- und Familienfrau verfügt über ein grosses Netzwerk im wirtschaftlichen Umfeld, wo sie die Anliegen von Pro Senectute einbringt und vertritt.

Katharina Linsi ist Präsidentin der Pro Senectute Regionalstelle Rorschach-Unterrheintal. Als langjährige Spitex-Fachfrau und aktuell als Geschäftsleiterin von Palliative Ostschweiz verfügt sie über grosse Erfahrung im Altersbereich.

Rudolf Lippuner ist Präsident der Pro Senectute Regionalstelle Rheintal-Werdenberg-Sarganserland. Der versierte Verwaltungs- und Finanzfachmann verfügt ehemaliger, langjähriger Gemeindepräsident von Grabs über ein breites politisches Netzwerk.

Martha Storchenegger ist Präsidentin der Pro Senectute Regionalorganisation Wil-Toggenburg. Die Pflegefachfrau war in leitenden Funktionen in der ambulanten und in der stationären Pflege tätig und ist heute Pflegedienstleiterin in einem grossen Pflegeheim. Als langjährige Kantonsrätin verfügt sie über wertvolle Kontakte über die Parteigrenzen hinaus.

Lic. phil. Boris Tschirky ist Gemeindepräsident von Gaiserwald und Präsident der Vereinigung St. Galler Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten. Er ist seit Sommer 2019 Mitglied des Pro Senectute Stiftungsrats. (S. Interview.)

Prof. Monika Wohler war Dozentin und Institutsleiterin Soziale Arbeit an der Fachhochschule Ost in St. Gallen. Heute engagiert sie sich in verschiedenen sozialen Projekten und Gremien.

Lic. iur. Roman Wüst ist als ehemaliger, langjähriger Generalsekretär des Gesundheitsdepartements des Kantons St. Gallen ein profunder Kenner des
St. Galler Gesundheitswesens.

Roberto Bertozzi ist Mitglied mit beratender Stimme im Stiftungsrat. Er ist Mitglied der Stellenleitung der Regionalstelle Stadt St. Gallen und Fachspezialist für sozialraumorierte Sozialarbeit.

Thomas Diener ist Mitglied mit beratender Stimme. Er war von 1989 bis Sommer 2005 Stellenleiter der Regionalstelle Rorschach-Unterrheintal und seit dann Vorsitzender der Geschäftsleitung von Pro Senectute Kanton St. Gallen.

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