Wo Frau musiziert, da lass dich ruhig nieder

Sie spielen seit Jahren vierstimmig Blöckflöte. Sie tun es auf gehobenem Amateurinnenniveau, mit Anspruch. Und sie wollen trotz Corona weitermachen. Mit genügend Abstand. Konsequent lüften. Und, sobald sie gerade nicht üben, Maske tragen. Weil sie durch das Spiel inzwischen viel verbindet. Und weil es der Aufsteller der Woche ist: Warum die Kurse bei Pro Senectute Kanton St. Gallen unter Einhaltung aller Sicherheitsmassnahmen trotz Corona weitergeführt werden. Und warum dies wichtig ist.

KURSBESUCH UND REPORTAGE: MICHAEL WALTHER

Am Eingang des Gebäudes Davidstrasse 16 – Sitz der Geschäftsstelle von Pro Senectute Kanton St. Gallen und der Regionalstelle Pro Senectute sowie eines Grossteils ihrer Kurse in der Stadt St. Gallen – steht: «Hier gilt Maskenpflicht.» Und: «Im Empfang nur zwei Personen.»

Im zweiten Stock, Kursraum 13, sechs auf acht Meter gross, sitzen im Kreis, den Wänden und Fensterreihen nach, die vier Teilnehmerinnen und Kursleiterin Heidi Bächtiger. Abstand: über zweieinhalb Meter. Neben sich am Boden alle ein Holzständerchen mit mindestens drei Blockflöten: Sopran, Alt, Tenor und, oder Bass.

Der Kurs – Blockflöte, jeweils mittwochs 9 bis 10.30 Uhr – ist bereits eine Stunde in Gang. Sie haben soeben gelüftet. Alle vier Fenster fünf Minuten offen. Zum dritten Mal seit Kursstart. «So, jetzt arbeiten wir nochmals eine halbe Stunde», sagt die Kursleiterin.

Die Gruppe erarbeitet vier slawische Tänze, arrangiert für Blockflötentrio. Jede Stimme wird zuerst einzeln gespielt und danach zum Trio zusammengesetzt. Das setzt voraus, dass alle Spielerinnen zwischen Flöten wechseln können, die auf C und F gestimmt sind.


Geht mit Maske nicht. Der Mundnasenschutz hängt am Notenständer für die Momente, in denen gerade nicht geübt wird: Das Flötenensemble von Heidi Bächtiger am Pro-Senectute-Kurs beim Proben.

Das Zusammenspiel – zweistimmig – hapert auf Anhieb. «Proben wir mal gemeinsam die zweite Stimme», sagt Bächtiger.

Das gibt zu tun. Die Melodie enthält ein paar enharmonische Verwechslungen oder Durchgangstöne.

«Ais ist wie B, und der Eis dort wie F», instruiert Heidi Bächtiger, «machen wir es einmal Ton für Ton.»

Und diktiert (und dirigiert) dann: «H – B – H – B – Fis – F – Fis – E – C – H – A – H – Cis. So. Und jetzt im richtigen Tempo. Nur von dort, wo es schwierig ist. Und mit der zweiten Stimme.»

«Ja, das müsst ihr üben mit den vielen Vorzeichen», fährt sie weiter, als die Sequenz einigermassen sitzt. «Und jetzt noch das ‹Andantino›. Das hat dort ein Gis in der zweiten Stimme. Und viele Achtzehntel. Ist aber nicht so schwierig, meine ich. Ist ja nur ‹Andantino›.»

Es soll schön tönen – beim Aufsteller der Woche

Im Raum sitzen Rosmarie Breitenmoser, Ruth Rechsteiner, Martha Ellert, Elisabeth Brühlmann. Warum sind sie hier? Warum besuchen sie den Kurs? Und warum besuchen sie ihn zu Coronazeiten – respektive trotz Corona?

«Das Ensemble ist mir wichtig», sagt Elisabeth Brühlmann. «Es geht auch um den Kontakt untereinander.»

«Das gemeinsame vierstimmige Spiel tut dem Herz gut», findet Martha Ellert.

«Es ist ein wöchentlicher Aufsteller für mich», ergänzt Rosmarie Breitenmoser.

«Ja, man freut sich darauf», bestätigt wieder Elisabeth Brühlmann.

Doch ist es nicht anstrengend?

«Streng», korrigiert Martha Ellert, «ist das falsche Wort. Heidi Bächtiger ist exakt und verlangt etwas.»

«Wir legen Wert darauf, dass wir nicht einfach drauflos spielen. Es soll schön tönen. Deshalb macht Heidi Bächtiger uns auch auf manche Details aufmerksam – wie die Phrasierung oder den Ausdruck der Stücke», umreisst es Ruth Rechsteiner.

«Das ist es, was unsere Hirne ein wenig fordert. Dies und der Wechsel zwischen den Instrumenten», so die Kursleiterin.

«Es ist auch das, was manchmal ein wenig schwierig ist», meint Martha Ellert.

«Aber es hält uns jung», sagt die Ensembleleiterin.

«Ja sicher!», tönt es. Vierstimmig.

Lange Geschichte mit dem Instrument

Und wer sind sie denn, die einzelnen Spielerinnen?

Heidi Bächtiger war zwanzig Jahre Flötenlehrerin an der Musikschule St. Gallen.

Rosmarie Breitenmoser erlernte das Blockflötenspiel als Kind. «Mit 50 kam noch die Altflöte hinzu. Das war eine Herausforderung, nachdem ich so viele Jahre nicht mehr gespielt hatte. Vor der Pensionierung stiess ich dann zum Ensemble.»

Ruth Rechsteiner lernte und pflegte das Flötespielen als Erwachsene und besuchte bereits früher ein Flötensensemble. «Das war im Kanton Zürich, und als wir vor neun Jahren wieder in die Ostschweiz zogen, war es etwas vom Ersten, hier wieder eine Gruppe zu suchen. Ich schnupperte. War begeistert von der Art und Weise, wie Heidi Bächtiger unterrichtet. Und blieb.»


In halber Formation und nur noch jede zweite Woche üben sie weiter. Mit allen Sicherheitsmassnahmen. Weil es ihnen wichtig ist. Und weil nicht abzuschätzen ist, wie lang die Pandemie noch dauern wird.

Als quasi wieder Neuzugezogene, die Jahrzehnte weggewesen sei, habe ihr die Gruppe geholfen, wieder eine gute Verbindung zur Stadt St. Gallen zu finden.

Auch Martha Ellert und Elisabeth Brühlmann lernten beide Flöte als Kind – und spielten bereits früher in einem Ensemble...

... man merkt: Alle Musikerinnen verbindet mit ihrem Instrument eine jahrzehntelange Geschichte. Was hier geboten wird, ist kein Anfängerinnen-, sondern gehobenes Amateur-, eben ein leidenschaftliches Niveau.

Halbe Gruppengrösse, Probe nur jedes zweite Mal

Doch warum muss es weitergehen – trotz Corona?

Zuerst einmal haben Heidi Bächtiger und ihre Musikerinnen das Ensemble halbiert.

In den Raum passen, mit den geforderten Sicherheitsabständen, grosszügig ausgelegt, sie und vier Musikerinnen. Ein grösserer Raum steht im Moment nicht zur Verfügung. Statt zu acht – zwei Musikerinnen pro Stimme – proben sie jetzt einfach zu viert. Und nur noch jedes zweite Mal.

Das ist natürlich nicht ideal. Aber: «Immerhin können wir so weitermachen, statt den Kurs ganz fallenzulassen», sagt die Leiterin.

«Mir ist es auch wichtig, dass der Kurs überhaupt noch stattfindet», ergänzt Martha Elltert.

«Es ist nötig, dass wir dranbleiben. Wenn wir nicht mehr gemeinsam proben, geht schnell etwas von der Technik und Übung verloren.»

Keine Kurse: Der Schaden wäre riesig

Und Ruth Rechsteiner formuliert: «Es gilt derzeit bei allen Tätigkeiten abzuwägen, was man noch tun will. Auch weil ich zu einer Risikogruppe zähle. Ich bin aber nach wie vor der Meinung, dass wir's in diesem Raum mit allen Sicherheitsmassnahmen – regelmässig lüften, konsequent Maske tragen, wenn wir nicht spielen – durchziehen können. Ich fühle mich mit den Abständen hier sicher, und in dieser Form kann ich es verantworten.»

Dann ergänzt sie: «Ich habe das Gefühl, wir wissen nicht, wie lang die Pandemie noch dauert. So haben wir wenigstens eine Form gefunden, in der wir dranbleiben können.»

Und Heidi Bächtiger sagt: «Uns ist bewusst, dass keine 100-prozentige Sicherheit besteht. Doch es ist wohl ein kleines Risiko, das wir hier eingehen. Es wichtig, dass wir uns immer wieder sehen. Wenn ältere Menschen heute alles aufgeben müssten, wäre der Schaden riesig. Musikalisch, geistig – und menschlich.»

Massgeschneiderte Schutzmassnahmen

Es ist genau dieses Ziel, das Markus Elsener verfolgt, der bei Pro Senectute Stadt St. Gallen das Kurswesen und die Gruppenaktivitäten koordiniert:

«Die Haltung und das Ziel von Pro Senectute im ganzen Kanton», sagt er, «bestehen darin, unsere Kurse möglichst weiterlaufen zu lassen. Es ist wichtig wegen der gesellschaftlichen, sozialen Teilhabe, dass Freizeitaktivitäten weiterhin möglich sind.»

Die Voraussetzung: «Dass Anpassungen möglich sind. Und dass die Teilnehmenden und Kursleitenden dies auch wirklich wollen. Wir zwingen niemanden.»

Beim Blockflötenensemble-Kurs von Heidi Bächtiger habe die Anpassung darin bestanden, dass die Gruppengrösse halbiert wurde, «weil sie wirklich weitermachen wollen».

Die Sicherheit werde auf diese Weise bei jedem Kurs im Detail angeschaut: «Wir suchen sozusagen massgeschneiderte Lösungen. Je nach Kurs und Bedürfnis der Kundinnen und Kunden schauen wir, was noch möglich und was verantwortbar ist. Das ist natürlich aufwendig.»

Sprachkurse zwischen Präsenz- und Onlineunterricht

Und auch nicht immer ganz einfach. Bei den Sprachkursen etwa – neben den Bewegungsangeboten die grösste Angebotsgruppe unter den Pro-Senectute-Kursen – sei die Maskenpflicht zum Beispiel eine Erschwernis. «Wenn noch eine Hörbeeinträchtigung hinzukommt, ist das nicht einfach.»

Bei manchen Sprachkursen bestehe die Lösung aus einer Mischform von Präsenz- und Onlinekurs. «Es gibt aber auch Teilnehmende, die ausgestiegen sind. Ebenso Kursleitende, weil sie selber schon im höheren Alter sind, weil sie Angehörige mit Vorerkrankungen haben oder selber an solchen leiden. Das ist absolut nachvollziehbar», sagt Elsener.

Beim Ziel, die Kurse und Freizeitaktivitäten möglichst weiterlaufen zu lassen, sei Pro Senectute «letztlich auf Kursleitungen angewiesen, die das mittragen. Es besteht viel Unsicherheit, was noch möglich und erlaubt ist. Da müssen wir dann immer wieder Details zu Fragen klären, über amtliche Vorgaben informieren und Überzeugungsarbeit leisten. Meist gelingt es uns, die Kursleitenden von der Wichtigkeit zu überzeugen, dass die Angebote weitergeführt werden können.»

«Tänze» bitte nochmals üben

Beim Blockflötenensemble von Heidi Bächtiger klappte das offensichtlich. In Kursraum 13 im Pro-Senectute-Haus geht die dritte und letzte Halbstunde intensiven Probens langsam zu Ende.

«Ihr müsst ‹Lost Love› ein bisschen traurig spielen, damit man die verlorene Liebe auch merkt», instruiert die Leiterin. Und dann gibt sie noch Atemzeichen an.

«Jetzt hätte ich gern mal eine dreistimmige Version», bittet sie weiter. «Einmal Sopran, einmal Alt und zwei Mal Tenor.» Die Rollen sind im Nu verteilt. Die Beteiligten nehmen das betreffende Instrument vom Flötenständer.

«Und dann hätte ich heute gerne nochmals etwas Neues angefangen», heisst es zum Schluss. «Eine Sarabande von Johann Weichmann, komponiert 1648/49. Die ‹Slawischen Tänze› spielen wir nächstes Mal nochmals. Bitte ein bisschen üben. Ihr habt ja zwei Wochen Zeit.»

Auch mal Musikferien im Bregenzerwald

«Querbeet» sei die Literatur, sagt Heidi Bächtiger. «Wir spielen alles von Barock über Renaissance, volkstümlich. Mal auch was Modernes.» Und Stücke aus Peter Roths Chorliteratur seien dabei. «Chorliteratur kann man von der Stimmenhöhe und dem Stimmenumfang her meist einfach übernehmen», weiss die Kurs- und Ensembleleiterin.

Und sonst besitzt sie eine Software, in die sie die Noten eingibt und die sie ihr dann umschreibt.

Zwischen 68 und 75 Jahren, jung, sind die Damen. «Man muss nicht pensioniert sein, um mitzuwirken», stellt Heidi Bächtiger klar.

Jedoch ist kein Herr dabei. (In einem anderen Flötenkurs von Pro Senectute spielen zwei Männer mit.) «Wir sind natürlich nicht gegen Männer. Wir nähmen einen, wenn er ins Gefüge passt. Er müsste umgänglich, friedlich und ein wenig lustig sein», definiert Ruth Rechsteiner das Anforderungsprofil.

Und kein Anfänger – oder keine Anfängerin – dürfen allfällige Neumitglieder sein. «Das haben wir ausprobiert», sagt Heidi Bächtiger. «Aber vom Können der anderen her funktioniert das nicht – auch nicht mit viel Geduld.»


Pro Senectute Kanton St. Gallen will die Kurse und Freizeitaktivitäten im Sinn der Teilhabe, wenn immer vertretbar – und gewünscht –, weiter ermöglichen. Bilder: mw.

«Wir sind eine lässe Gruppe, wenn wir komplett sind. Alle passen gut zusammen», fasst die Ensembleleiterin zusammen.

Kein Wunder, verreisen sie jährlich auch in «musikalische Ferien»: Vier Tage. Ins Bildungshaus im Kloster Bezau im Bregenzerwald, alle acht respektive neun. Plus Zuzüger, die die Ensembleleiterin noch kennt.

Ausser natürlich, wenn Corona ist.

Und in den Nicht-Coronajahren gewähren sie hin und wieder auch einen Auftritt. In einer Kirchgemeinde oder in Altersheimen.

«Heidi hat extrem Geduld. Wenn etwas nicht so funktioniert, probiert man es nochmals. Wir geben uns nicht mit ein bisschen gut Spielen zufrieden. Wir möchten es noch besser können», hat Ruth Rechsteiner gesagt.

«Einfach, soweit es noch Spass macht», antwortete Heidi Bächtiger. «So auf jedem Detail rumreiten tun wir auch nicht. Dann nehmen wir wieder etwas Einfaches hervor. Zuviel verlangen kann man auch nicht.»

«Freude macht es immer», sagte Martha Ellert dann. «Vor allem wenn es am Schluss gut tönt.»

Und so nimmt man (Frau), in diesem Ensemble, mit der Zeit auch Teil am Leben der Anderen.

Es ist eine Verbindung über die Notatur hinaus – und zwischen den Notenlinien.

 
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Die Kurse und Freizeitaktivitäten von Pro Senectute:
zentrales Angebot der wichtigsten Altersorganisation
im Kanton

Die Kurse und Freizeitaktivitäten sind ein sehr wichtiger Teil der Angebote von Pro Senectute Kanton St. Gallen und der ihr angeschlossenen Regionalstellen. Im Verständnis der Sozialorganisation zählt zur Grundversorgung im Alter insbesondere auch, die soziale Teilhabe zu gewährleisten. Dies geschieht bei unseren Kursen und Freizeitangeboten. (S. Haupttext.)

2019 führte die Altersorganisation Pro Senectute Kanton St. Gallen insgesamt 1451 Kurse und Veranstaltungen mit 20763 Teilnehmenden durch.

Für die Mitwirkung in einem Pro-Senectute-Kurs muss man nicht pensioniert, aber gemäss Geschäftsbedingungen mindestens 60-jährig sein. In begründeten Einzelfällen sind Ausnahmen möglich.

Aktuelle Kursprogramme

Ihr aktuelles Kursprogramm finden Sie immer – via https://sg.prosenectute.ch/ – auf der Webseite Ihrer Regionalstelle unter «Kurse & Veranstaltungen». Es gibt dort zu allen Kursbereichen («Fitness und Wellness», «Sprachen», «Computer und IT», «Geselligkeit», «Kultur und Kreatives» sowie «Verschiedenes») entweder einen Flyer oder eine Angebotsübersicht. Ausgewiesen sind auch besondere Gruppenaktivitäten. mw.

Ihr Kursprogramm fürs erste Semester 2021



Auf geht's! Hier sind sie – die Kursprogramme der sechs Regionalstellen von Pro Senectute Kanton St. Gallen fürs erste Semester 2021:

– Rorschach und Unterrheintal, PDF
– Rheintal Werdenberg Sarganserland, PDF
– Zürichsee-Linth, PDF
– Wil und Toggenburg, PDF
– Gossau und St. Gallen Land, PDF
– Stadt St. Gallen, PDF